Die Wassermelone - Eine Geschichte aus dem Nachkriegs-Italien
Die Wassermelone.
Eine Geschichte aus dem Nachkriegs-Italien.
Der heiße Augustwind wehte durch die engen Gassen von Montescaglioso, während die Sonne unbarmherzig auf die staubigen Straßen des kleinen süditalienischen Dorfes strahlte.
Ein streunender Hund hier, eine Katze dort auf der Suche nach Schatten.
Es war das Jahr 1953, und die Narben des Zweiten Weltkriegs waren noch überall deutlich zu sehen – nicht nur an den verfallenen Gebäuden, sondern vor allem in den gezeichneten Gesichtern der Menschen, die hier lebten.
Der eine Krieg war zwar zu Ende gegangen, doch für die Menschen in der Basilikata ging ein anderer Kampf unvermindert weiter – der ums tägliche Überleben. Die Armut und der Hunger waren die ständigen Begleiter.
Sinnbildlich für diese dramatische Situation stand Matera, eine Stadt, nur achtzehn Kilometer von Montescaglioso entfernt, die zum Symbol des süditalienischen Elends wurde. Die Menschen hausten dort in den berüchtigten "Sassi", in Höhlen und primitiven Behausungen, die in den Tuffstein gehauen waren. Die Zustände waren so erschütternd, dass der Schriftsteller Carlo Levi sie später in seinem bewegenden Werk "Christus kam nur bis Eboli" dokumentierte.
Was er beschrieb, war eine Welt der absoluten Armut, die sich viele im restlichen Italien nicht einmal vorstellen konnten – eine Welt, in der Krankheiten, Hunger und Hoffnungslosigkeit den Alltag bestimmten. Hätte Carlo Levi damals Montescaglioso gekannt, wäre seine Beschreibung der Lage in "Monte" nicht weniger düster ausgefallen.
In einem dieser bescheidenen Häuser, wo Menschen und Tiere oft noch unter einem Dach lebten, wohnte die Familie Viggiani. Hier wuchsen der zehnjährige Francesco Antonio und sein jüngerer Bruder Donato auf; Jahre später würde ihre kleine Schwester Lina die Familie vervollständigen. Die Mutter (meine Oma) vollbrachte täglich kleine Wunder, um ihre Kinder durchzubringen.
In dieser Zeit des Mangels entwickelten die Kinder ihre eigenen Strategien, um mit der allgegenwärtigen Armut umzugehen. Sie streiften durch die Straßen von "Monte", sammelten Zigarettenstummel auf und kletterten auf die Obstbäume der Bauern, um sich einige Früchte oder Nüsse zu stibitzen – es war ihre Art, die harte Realität in ein Spiel zu verwandeln.
An einem dieser endlosen Sommertage saßen Francesco und Donato barfüßig vor dem alten Kloster von "Monte".
Zwischen sich teilten sie einen kostbaren Schatz: eine Wassermelone. Jeder nahm abwechselnd einen kleinen Bissen, als wäre es das wertvollste Festmahl der Welt. Das süße, saftige Fruchtfleisch war eine seltene Köstlichkeit in diesen kargen Zeiten.
Hier eine mit KI nachgestellte Szene. So ungefähr hätte es damals sein können. |
Als Francesco gerade dabei war, die letzten roten Stückchen am Rand der letzten Melonenscheibe abzunagen, spürte er einen sanften Stoß von Donatos Ellbogen. Sein kleiner Bruder nickte mit dem Kopf nach hinten, wo ihre Freunde standen und mit hungrigen Augen das Schauspiel verfolgten.
"Non mangiare tutto, lascia gli angoli della buccia per gli altri", flüsterte Donato in seinem melodischen Dialekt – "Iss nicht alles auf, lass die Ecken von der Schale für die anderen."
In diesem Moment, in dieser schlichten Geste der Großzügigkeit eines kleinen Jungen, der bereit war, sogar die Schale seiner Wassermelone zu teilen, spiegelte sich die wahre Seele Süditaliens wider.
Eine Zeit, in der das Wenige, das man hatte, selbstverständlich geteilt wurde.
Siebzig Jahre sind seit jenem Tag vergangen:
Montescaglioso hat sich verändert,
Italien hat sich verändert,
die Welt hat sich verändert.
Doch für Francesco Antonio Viggiani ist diese Erinnerung so lebendig geblieben wie die süße Wassermelone an jenem Sommertag.
Die Geschichte von Francesco und Donato ist nicht nur eine Anekdote aus der Nachkriegszeit. Sie ist ein Zeugnis der Menschlichkeit, die selbst in den dunkelsten Zeiten überdauert, und eine Erinnerung daran, dass die wertvollsten Lektionen oft in den kleinsten Momenten zu finden sind.
In einer Region, die von solcher Armut gezeichnet war, dass sie später dank Carlo Levi, in die Geschichtsbücher eingehen sollte, lernten Kinder wie Francesco, Donato und seine Gang früh, dass das Wenige, das man hatte, geteilt werden musste – selbst wenn es nur die Schale einer Wassermelone war.
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